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Die Legende von Gednammoc

Und der Bänkelsänger begann seine Erzählung...
Höret nun die Legende vom silbernen Drachen Gednammoc, die sich vor mehr als dreitausend Jahren vor unserer Zeit zugetragen hat und von der mir eine alte Loptoc der Echsenwesen kündete, als ich auf der Heimatinsel der Iadner zwischen Dolon und Fasar wanderte. Ich überliefere Euch ihre Worte in der Hoffnung, daß sie auf diese Weise von dem dunklen Mantel der Zeit sicher sind und nicht in Vergessenheit ertrinken werden. Bis zu dem Tage, an dem sich die Prophezeihung von Gednamoc, dem silbernen Drachen, erfüllen wird. Doch bedenket, ich kann die Worte der Echsenwesen nur unzureichend in Eure Sprache übersetzen und benutze der Einfachheit halber Ausdrücke, die den Menschen geläufig sind. So wundert Euch nicht, wenn ich zum Beispiel von weiblichen Iadnerinnen spreche, obwohl die Echsenwesen kein Geschlecht kennen, das dem Euch bekannten weiblichen entspricht. Doch diese Übersetzung mag vielleicht ganz passend sein, wie Ihr sicher noch bemerken werdet.
Doch nun genug der Vorrede; merket auf, was ich nun aus den alten Zeiten zu berichten weiß...

Die Schöne
In einer Zeit weit vor der unsrigen, als die Iadner noch bedeutend weniger und ihre Ländereien noch vom Adel beherrscht waren, in einer Zeit, in der ein Echsenleben nicht mehr wert war als ein Schlauch Quellwasser und ein Stück Tepplarfleisch, lebte eine junge Iadnerin, deren Augen blauer und klarer waren, als das Licht der hellsten und schönsten Sterne am unendlichen Firmament. Diese Farbe bei den Echsenaugen der Iadner war schon in diesen alten Zeiten nicht nur eine Seltenheit, sondern ein besonderes Zeichen; eine Zeichnung, die einer herausragenden Bestimmung vorauseilt - bedeutungsschwangerer als eine Prophezeihung.
Diese Iadnerin besaß nebst ihrer bald schon im gesamten Reich gerühmten Schönheit einen ebenso scharfen Verstand wie auch eine scharfe Zunge, die nicht nur ihrer eigenen Familie Schwierigkeiten bereitete. Nein, auch den zahlreichen Iadnern, die teils sogar aus weiter Ferne zu ihr reisten, um die Gunst ihres Herzens zu erobern. Die sich vorstellenden Gagod wurden meist bereits mit einem Wesen des dritten Echsengeschlechtes, einem Nemac, der Iadnerin vorgestellt, von denen sie bisweilen auch beide Partner sehr anziehend fand. Diejenigen, die sie um ihr Herz ersuchten, waren tugendhaft sowie von gutem Aussehen und Stand, doch niemand konnte sich an ihrem Geist und ihrem scharfsinnigen Mundwerk messen.

Bis eines Tages zwei Fremde aus einem Land weit südlich der südlichsten Grenzen des Reiches Ilais vor sie hin traten und sie baten, ihren Worten Gehör und Glauben zu schenken.
So kam es denn, daß sie stolz und stark vor sie hintraten und mit schmeichelnden Worten sanft wie die Berührung einer flaumigen Daune auf einer Wange ihr Herz zu sich heranzogen. Ihre kristallenen Augen glänzten, als sie erzählten, daß sie mit einem großen Schiff vor der Küste lägen, mit dem sie sich seit Jahren auf die Suche nach fremden Kulturen begaben. Ihre Augen machten das Versprechen glaubhaft, daß sie auf ihren zukünftigen Reisen die Gegenwart der Iadnerin nie mehr missen wollten. Sie war fasziniert vom Geist und Witz und der gewählten Art, in der sie sprachen. Nicht zuletzt fesselte sie an ihnen die Aussicht, ferne, fremdartige Länder, seltsam anmutende Wesen und Städte, gefüllt mit wuselndem Leben und verschiedensten Gerüchen, kennenzulernen, ohne daß es sie ein Crutzsok kosten würde.
Alsbald hatte sie sich also entschieden, daß es diese Fremden waren, in deren Klauen sie ihr Vertrauen und ihre Liebe legen würde.

Das Dunkel
Zweieinhalb Jahre lang blieben sie in ungetrübter Liebe beienander, in denen sie sich liebten und haßten, trennten und wieder in Leidenschaft verbanden; doch stets war ihr vor Augen, daß dieser Gagod und dieser Nemac die Wesen der heißen Träume ihrer jüngeren Jahre waren. Nach dieser Zeit änderten sie sich allerdings mit den Jahren mehr und mehr - durch ihre fieberhafte Liebe unbemerkt. Gefolge und Mannschaft wurden ihnen zunehmend wichtiger als sie. Langatmige Orgien und dreckige Scherze, die sie von ihren Gefährten, die teils bei der Iadnischen Marine dienten, mit in beider Heim brachte, erfüllten ihr Leben und begannen das der Schönen zu zerfressen.
Da es nun an der Zeit war, daß auch sie in der Gesellschaft ihren Platz einnehmen sollte, begann sie ihren Geist zu martern, was wohl eine Aufgabe für sie sein könnte, mit der sie der Gemeinschaft am besten dienen könnte. Eines Tages lustwandelte sie über den großen Hafenbasar von Gynac, als mehrere Schiffe der Iadnischen Marine mit zerfetzten Segeln und zerschmetterten Rümpfen mühsam in den rettenden Hafen einliefen, und mit der Nachlässigkeit ermatteter Kämpfer an den Kaimauern festgemacht wurden. Sie unterbrach also ihre Überlegungen und widmete sich mit interessierter und gleichsam verwirrter Miene dem Geschehen auf den nahezu zerstörten Aufbauten und Oberdecks der eingetroffenen Kriegsschiffe.
Erbarmungswürdige, entsetzliche Schreie Verwundeter und Schwerverletzter verdrängten zunehmend die alltäglichen Laute des Hafens und seines Basars, als der Teil der Mannschaften, der sich noch auf eigenen Krallen halten konnte, diejenigen Echsen von Deck zu tragen begann, die der eigenen Gliedmaßen nicht mehr Herr oder nicht einmal mehr in deren Besitz waren. Und wer zu schwer war, um von seinen Kameraden getragen zu werden, wurde mit Lastzügen von Bord gehievt.
Die Wasserlachen am Rande des steinernen Kais begannen sich dunkelrot zu färben, getränkt von dem Blut aus den zahlreichen Wunden der eingetroffenen Krieger. Die Luft selbst nahm den Geruch des Blutes in sich auf, so daß die wandelnde Iadnerin ein Stuck dünnen Stoffes vor ihre Nase pressen mußte, um nicht ihrer Übelkeit nachzugeben. Dennoch wandte sie sich nicht von dieser Szenerie ab; zu stark war ihr Bedürfnis, den Soldaten zur Hilfe zu eilen. Oh, wenn sie doch nur gewußt hätte, wie sie helfen sollte, so dachte sie, als Heiler, die viel zu wenig in ihrer Zahl erst jetzt mit in dieses Grauen traten, hektisch mit der Versorgung der Notfälle begannen.
Sie beugte sich hinunter zu einem besonders schwer verletzten Soldaten zu ihren Füßen, der inmitten einer Lache seines Blutes darbte, das aus den Dutzenden seiner Wunden an seinem Körper herunterrann, um sich hell und klar mit dem Meerwasser auf dem Kai zu mischen. Sie hob seinen Kopf auf ihr Bein, wobei er stöhnte, als käme sein Atem bereits aus den tiefsten Tiefen des Meeres:
"Hilf mir, schönes Wesen; oder bist Du gar schon der Tod?"
Entsetzt über seine Worte, schrie sie ihm ein schrilles "Nein!" entgegen, während er blutige Klumpen aus seinem Maul hustete, die der Stoff in ihren Gewändern gierig aufzusaugen schien.
"Ich bin hier, um Euch zu retten Krieger", antwortete sie ihm schließlich. "Verlaßt unser Volk nicht."
Doch der Tod war ihm ungnädig und forderte in ihm einen weiteren Tribut an die vorausgegangene Schlacht zur See. Der Körper in ihren Armen erschlaffte mit einem dumpfen Schnaufen. Sie hielt den starren Blick seiner sterbenden Augen nicht länger aus, und so erhob sie sich un eilte von dannen. Nun wußte sie auch, welchen Platz sie in der Gemeinschaft ihres Volkes einnehmen wollte. Sie wollte dazu beitragen, daß so schreckliche Szenen wie an diesem Tage sie nie wieder kraft- und machtlos erscheinen lassen würden. Deshalb entschloß sie sich, die Heilkünste zu erlernen.

Natürlich war ihre Sippe nicht sehr begeistert davon gewesen, als sie von ihrer Entscheidung berichtet hatte, denn schließlich hatte man sich für sie ihrem Stande gemäß eine Kriegerlaufbahn erhofft. Dennoch hatte ihre Entscheidung unverrückbar festgestanden. Vor allem aber lenkte ihre Arbeit sie von ihren Problemen mit ihren Partnern in der Beziehung ab und machte sie stets stark für die ewigen Schlachten im Heim. Ihre einstmals so große, feurige Liebe war stark abgekühlt und brüchig geworden wie ein frisch geschmiedeter Malepiker, dessen zu schnell abkühlende, innere Glut selbst das festeste Metall zum Bersten bringt.
Daher arbeitete sie mehr und mehr, um zu vergessen, wie allein sie sich fühlte, selbst wenn ihre Partner mal ab und zu für ein oder zwei Tage von seinem Schiff zurückkehrten und ihr des Nachts beiwohnten. Ihren Gefallen fand dies aber nicht mehr.

Die Seelenverwandnis
Eines Tages jedoch versorgte sie im Lazarett einen jungen Soldaten, der an einer Krankheit litt, die unheilbar bleiben würde, und dabei stark ansteckend und todverheißend war. Da sie bei seiner Pflege Hilfe benötigte und dieser Zeit gerade ein junger Gagod in ihrer Nähe stand, ihr den Rücken zugekehrt, bat sie diesen, ihr zur Hand zu gehen. Als er sich umwandte, trafen sich ihre Blicke gleichsam gewaltig wie die Kollision zweier kristallblau leuchtender Galaxien im Kosmos - und dennoch genauso lautlos und leise wie in der Stille des Alls. Es war ebenso geheimnisvoll und aufregend wie das Knistern dessen, was die Gelehrten die Kräfte der Statischen Ladung nennen - und ebenso neu und unbekannt erschienen ihnen die seltsamen Blicke, die sich auf halbem Wege zwischen ihnen kreuzten. Denn ihrer beider Pupillen maßen sich in kristallenem, prophezeihenden Blauglanze, so daß nur schwer zu sagen wäre, welches der Augenpaare das klarere Blau getragen hätte.
Wie durch eine tiefere Macht bestimmt, trafen sie sich gegen den Abend auf ihrem Wege in ihre Heime, und sie sprachen miteinander übereinander, wobei er ihr erzählte, daß er ein Schreiberling sei und voraussichtlich an den großen Akademien von Dolon die Lehre von den Sternen beginnen wolle. Sein Lachen war durchdringend, als er ihr scherzhaft beichtete, daß er wohl als verarmter Gelehrter später keine gute Partie für eine Beziehung mit einem Nemac und einer Loptoc sei - auf daß er mit diesen eine Familie gründen könne. So würden wohl seine Bücher und die alten Schriftrollen seine Familie werden. Ihr Gespräch dauerte noch lange an diesem Tage an, schließlich zwang die Zeit sie allerdings dazu, sich endlich von einander zu lösen.
Da er des Nachts für die hernach folgenden Tage im Lazarett über die Gebrechlichen und Kranken zu wachen hatte, sie sie allerdings des Tages versorgte, begannen sie einander zu schreiben und fanden so heraus, daß sich viele ihrer Gedanken glichen oder zumindest ähnelten. Es entwickelte sich mehr und mehr etwas, das über bloße Kameradschaft und Freundschaft hinauszugehen schien. So folgten schon bald sanfte Zärtlichkeiten - belastet von der Untreue Last auf ihren Schultern.

Ihr Gewissen plagte sie zunehmend, denn schließlich war sie nun schon lange zwei anderen gegeben. Und so mußte sie ihren Verehrer von sich weisen und brach damit nicht nur ihr eigenes Herz. Alles hätte er erwartet, doch dessen hatte er sich wahrlich nicht wappnen können, und so traf ihn dieser Hieb tiefer, als ihn jeder Dolch hätte durchbohren können.

Die Trennung
Schließlich jedoch mußte er ihre Entscheidung nehmen, wie sie sie getroffen hatte; vorerst unverrückbar mit der Spitze in sein Herz gerammt. Er fühlte, daß er sie nicht würde aufgeben können, selbst wenn er es gewollt hätte. Zu stark waren bereits die Bande geworden, die ihn an sie ketteten, und er spürte das Gewicht dieser Kette wie einen Stein um seinen Hals. Da er wußte, daß auch sie sich mit ihrer Abweisung dem Unglück preisgab, gründete er alle Hoffnungen darin und schwor ihr, sie könne ihn zu jeder Zeit aufsuchen und ihre Entscheidung rückgängig machen. So mußte er sie gehen lassen, auch wenn ihm dies sein Herz in heißer Trauer vereisen ließ.
Als wären vor seinen Augen Dämme eingebrochen, strömten noch lange Zeit, nachdem er sie das letzte Mal sah, in seinen schlaflosen Nächten alle Flüsse der Welt, alle Wasser aus seinen Augen über seine Schuppen und versickerten im heißen Boden unter seinen Krallen. Eine jede Nacht sah er ihre Gestalt im Dunkel vor sich - in vollkommener Schönheit, wie er sie in Erinnerung behalten hatte. Die Farben waren aus seinem Leben genommen worden, wie auch sie ihm zuvor genommen worden war - niemals verschwanden sie ganz, doch zu viel, um sich an ihnen zu erfreuen.
Die Iadnerin schien sich, obwohl sie es war, die sich gegen ihn entschieden hatte, nicht im Ganzen sicher zu sein, ob sie ihm, auch nach ihrer Rückkehr zu ihren Partnern, noch immer sehnsüchtig feurige, liebeserfüllte Gefühle oder nur den Gedanken, ihm etwas zu schulden, entgegenbrachte. Auf jeden Fall mochte sie ihn zu gern, um ihm absichtlich solchen Schmerz zuzufügen. Dennoch mußte die trennende Entscheidung sein; und so war es auch geschehen.

Das Leid
So gingen die Tage in die See, in denen beide versuchten, ihr Leben zu leben, so gut es ihnen möglich war. Für beide war es kein Leichtes, denn schließlich waren sie gewiss stark aneinander gewachsen in der kurzen Zeit ihrer Zweisamkeit - im kurzen Glück ihrer Herzen. Sie beendete alsbald die Pflichtzeit im Lazarett, um sich nunmehr ihrer eigentlichen Ausbildung zu widmen. Doch ob sie auch bei ihren Seefahrern wieder glücklicher würde? So wälzte sie unermüdlich in einsamen Stunden ihre sanft liebevollen Erinnerungen. Diese - auch wenn sie es sich für das Verhältnis zu ihren Partnern schon manchmal wünschte - schienen ihr in ihrer Klarheit nicht zu verblassen wollen. Meist jedoch wärmte sie der Gedanke, daß es dort in der Welt jemanden gab, der stets an sie dachte und für sie da wäre, wenn sie riefe - in einer schwachen, sehnsüchtigen Zeit.

Auch er - vielleicht aber auch gerade er - ließ kaum einen Gedanken zwischen sich und seine Angebetete kommen. Zwar spürte er die Sehnsucht an seinem Fleische nagen, und jedes Mal, wenn er in den warmen Nächten unter den Monden an den Ufern des Meeres weilte, um dem Glitzern der Sterne wehmütig zuzusehen und in der immer wiederkehrenden Gleichförmigkeit der anlandenden Wogen des Meeres Trost zu finden, schloß er seine Augen und spürte den sanften Wind auf seinem Rücken. Er fühlte ihn, als wäre es die sanfte Hand seiner Angebeteten, die über seinen Körper strich, während der Wind ihm ihre sanften Worte ins Ohr hauchte.
Seufzend versuchte er sich damit aufzuheitern, daß sie beide noch in der Blüte ihrer Jugend standen - irgendwann würde gewiß seine Stunde kommen, die Zeit war sein mächtigster Verbündeter nach der Hoffnung. Dies würde allerdings ein steiniger Pfad für ihn werden, lang und schotterhaltig und zermürbend zu beschreiten. Aber er hoffte, daß sie ihm irgendwann auf diesem Pfad entgegenschreiten würde. Auch wenn es vielleicht nur ein Stück war, so würde es dennoch entscheidend sein.

Die Erneuerung
Lange Zeit änderte sich so nichts an ihrer beider Leben. Er fürchtete die Gefahr, daß sie ihn vergessen könnte, und er hoffte gleichzeitig für sich, daß er sie vergessen könne. Denn solange ihre Seefahrer sich ernstlich um ihr Herz mühten, würde sie ihnen auch eine treue Loptoc bleiben.
Doch bald schon ward alles wieder, wie es gewesen war. Des Seefahrers Herzen verschlossen sich ihrer Liebe erneut und öffneten sich schon bald wieder den Gelagen, die sie mit ihren Kameraden abhielten. Schon bald verkehrten sich ihre gerade liebevollen Worte wieder in lästerliche Ärgernis, die sie als schallende Scherze mit von See brachten und als ebensolche tief in ihr Herz bohrten. Nichts schienen sie gelernt und so verfinsterte sich erneut ihr Leben, wie sie es nie geahnt. So ward sie mehr und mehr unentschlossen, ob sie die richtige Entscheidung traf, ihren glühenden Verehrer zurückzuweisen, und tief in ihrem Innersten wuchs ein Gefühl von Angst, daß sich ihre anfängliche Hoffnung, er würde sie vergessen, bewahrheitet hätte. Es mehrten sich die Stunden, in denen sie sich ihn in ihre Nähe wünschte - sich nach dem Klang seiner Stimme sehnte.
Natürlich aber war seine heiße Verehrung noch nicht erloschen; feurig und innig kochte noch immer die Glut der Leidenschaft in ihm, doch ihn wähnte, ihre Liebe zu ihm müsse sich verflüchtigt haben, wie alle Wasser bei niedrigem Stand der Ozeane aus der Bucht von Gynac verschwanden. Doch wie bei den Gezeiten so hoffte er, daß die Zeit ihm ihre Liebe mit ebensolcher Gewißheit wiederbringen würde, wie sie mit Hilfe des auflaufenden Wassers das Meer wieder in die Bucht zurückspülte. Trotz seiner ihm bewußten Gefühle hatte er begonnen, wie sie ihn geheißen hatte, als sie sich lösten und ermutigt durch den guten Willen hinter ihrem Wunsche, nach Iadnerinnen auszuschauen, die seiner Angebetenen ebenbürtig schienen. Nur war er nicht fähig, mit mehr als dem halben Herzen Ausschau zu halten, so daß seine Suche der Mißerfolg krönte - sein Herz war gefesselt von seiner Angebeteten Bann.
So änderte sich nichts daran, daß er von seiner scheinbar unerreichbaren Leidenschaft verzehrt wurde, wie eine Raupe ein grünes Blatt zerfraß, langsam und unerbittlich. Dennoch versuchte er die Bürde seines unerfüllten Schicksales tapfer so lange zu tragen, bis sich vielleicht eine neue Chance für beide ergeben würde. Doch schon bald ertrug er die Ruhe tiefster Meeresgefilde zwischen ihnen nicht mehr und brach das Schweigen, indem er ihr eine Botschaft sandte. Darin bat er, ihr nach dieser langen Zeit wieder ins Antlitz blicken zu dürfen. Nachdem er sie ausfindig gemacht hatte - denn sie war in einen anderen Teil des Reiches gegangen, um ihre Heilkünste dort weiterbilden zu können - hatte er die Nachricht abgesandt und wartete - lange Zeit umsonst.
Als ihn der Mut und die Zuversicht schon zu verlassen drohten, begann in ihm die Gewißheit zu wachsen, daß er für geraume Zeit das Reich hinter sich würde lassen müssen. Er würde eine Wanderschaft beginnen, um seinem zu Staub zerblasenes Leben wieder Herr zu werden, sollte sie ihr Herz wirklich vor ihm verschlossen haben. Als auch nach weiteren Tagen noch immer kein Zeichen von seiner Verehrten eingetroffen war, begann er zerschlagen und düster mit den Vorbereitungen seiner Reisen, die ihn in die kalten Fernen des Südens führen würden, wenn es nach seinem Willen ginge.

Die Wurzeln
Alsdann kündete er seiner Familie von seiner Entscheidung und verabschiedete sich unter derer großen Protest. Allerdings störte eine schlanke Gestalt, die im Türbogen hin zum Deck des Familienschiffes des Iadners erschien, die angespannte Zeremonie und bat mit vertrauter, warmer Stimme um Einlaß. Der erzürnten Familie Einhalt gebietend, trat der Iadner aus dem Kreis seiner Anverwandten hervor; und seine Lider wurden schwer vom Quell seiner Tränen, als er erkannte, zu welchem Wesen diese Stimme gehörte. Als er dann gewahr wurde, daß es seine große Liebe war, schloß er sie in seine Arme, und auch sie spürte erleichtert seine ungebrochene, wärmende Zuneigung, die duch ihren Körper knisterte, als sie seine Umarmung erwiderte.
Sie war gekommen, um neu anzufangen, einen neuen Beginn zu versuchen auf den Trümmern dessen, was einstmals war. Und dennoch zeigte sie Schuldgefühle, die sie nicht mehr befähigten, den durchdringenden Blick seiner Augen zu erwidern. Natürlich blieb ihm dies nicht verborgen, und so nahm er sie beiseite. Nachdem seine Familie sich zurückgezogen hatte, erfreut über die Tatsache, daß er nun auch bleiben würde, versuchte er sie von ihren bedrückenden Gefühlen zu erlösen. Doch sie vergrub ihr Gesicht in seine Brust. Er spürte ihren grossen Schmerz, und es tat ihm leid, daß sie solchen Qualen ausgesetzt war.
Schließlich fiel ihm allerdings ein, wie er dies ändern konnte, und er begann, die Geschichte eines Wanderers zu erzählen, der sich in einen Baum verliebte.

"Der Wanderer verliebte sich so sehr, daß er stets in seiner Nähe blieb und weite Reisen hinfort von dem Gewächs scheute. Denn schön und mächtig erhob er sich bis hoch in die Himmel. Doch irgendwann wollte der Wandernde den Baum mitnehmen in seiner großen Verehrung, und grub und grub, scheiterte jedoch an der festen Verwurzelung des Stammes in der Erde.
Und nun frage ich Dich"
, sagte er zu ihr. "Ist es die Schuld des Baumes, daß er dem Wandernden nicht folgen kann, weil ihn seine Wurzeln, die er zum Leben braucht, ihn in seine Umgebung verflochten?"
Und sie verstand.

Alle Zweifel und alle Ängste, die sie bis dahin beschlichen hatten, schienen auf einmal davongefegt wie die morgendliche Sonne den Tau von Gräsern und Sträuchern leckt. Sie enschlossen sich voller Leidenschaft, auszuprobieren, wie gut sie zusammen leben konnten, und so teilten sie dies wie Rankengewächse ineinander verschlungen seiner Familie mit. Doch ebenso hatten sie entschieden, daß in ihrere beider Liebe kein Nemac Platz finden solle. Als seine Eltern und der Rest der Sippschaft dieser Ungeheuerlichkeit gewahr wurden, brach ein Sturm der Entrüstung über die beiden daherein - und in aller Augen stand das blanke Entsetzen geschrieben. Seine Loptociec schlußendlich sprach aus, was die Gedanken aller anderen waren:
"So wird es nun keinen Segen unser Sippschaft geben; das wird Euch doch wohl klar sein?"
Nie hätte er gedacht, daß ihm seine Familie derart in den Rücken fallen würde, sollte es ihnen doch im Grunde gleich sein, wenn er anders zu leben gedachte. Nach einem grausamen Streit war ihm deutlich geworden, daß er und seine Frischverbundene hier nicht vom Glücke beseelt werden würden. So bat er seine Liebste, mit ihm dorthin gehen zu dürfen, was ihre eigene Familie ihr Zuhause nannte. Sie allerdings mußte verneinend den Kopf schütteln, denn auch sie hatte sich, als sie ihren Seefahrer verließ, den Groll ihrer Sippschaft auf sich gezogen und in einer heftigen Auseinandersetzung das gemeinsame Leben verwirkt. Dorthin würde sie ein gemeinsamer Pfad nicht führen können.

Die Reise
So machten sie sich beide einig daran, mit dem von ihm geheuerten Schiff für seine lange Reise, das Reich Ilais am kommenden Tage hinter sich zu lassen - auf der Suche nach den kühlen Landen im Süden, wo ihre Liebe ungestört die Kälte vertreiben konnte. Die noch vor Sonnenaufgang gehißten Segel verschwanden noch bevor der Stern sich ganz aus dem Ozean gehoben hatte, dort hinter dem Horizont, woher der Stern gekommen war.
Sie waren erst wenige Wochen gereist doch es war abzusehen, daß ihre Vorräte schon bald zur Neige gehen würden. Das Wasser, das sie zum Tranke mitgenommen, begann schal zu schmecken und wie Sumpfpfützen zu riechen. Er wandte seinen Blick unter der gleißenden Sonne über das glitzernde Meer. So viel Wasser, und doch unnütz zum Tranke. Nach einigen, weiteren Sonnenaufgängen begann es ihnen langsam schläfrig zu werden und das Boot begann mehr und mehr zu treiben, denn zu segeln.
Aus seinen flimmernden Lidern gewahrte er einen Streifen Grün am Horizont, bevor ihn seine Kraftlosigkeit in die Knie zwang, wie zuvor schon seine große Liebe. Sein letzter Gedanke war seine Schuld an diesem, ihrem Schicksal.

Die Drohung
Ein Schlag in sein Gesicht holte ihn aus seiner Dumpfheit hervor, und er spürte kühlendes Wasser sein Gesicht herunterrinnen, nach dem seine ausgedörrten Lippen schnappten. Sein erster, unverschwommener Blick suchte sein Kleinod, und als er sie wohlauf neben sich sah, mengten sich Feudentränen in das Wasser, das über ihn rann. Als er dann gesehen hatte, wer sie aus ihrer Not befreut hatte, schwand seine Begeisterung, da sein Blick auf seine Familie fiel, ein paar Seeleute und einige andere Echsenwesen, die er für die Anverwandten seiner Liebsten hielt. Sie nickte bloß, als er ihr einen fragenden, bedeutungsschwangeren Blick zuwarf, und er verstand.
"Ihr werdet beide mit uns nach Ilais zurückkehren", sagte der Schatten, der im gleißenden Licht der Sonne über ihm stand. "Wir alle haben Glück gehabt, daß wir euch rechtzeitig gefunden haben, nachdem sich unser vier Familien ausfindig machten und auf die Suche begaben. Ein schwieriges Unterfangen war dies, doch sie hatten schließlich einen der besten Kapitäne zur See bei unserer Suche an ihrer Seite."
Als der Schatten schallend zu lachen begann, und die Iadnerin in einem Fluß aus Tränen verging, dämmerte dem Verliebten, wen er sich gegenüber sah - der Seefahrer und Gefährte seiner Angebeteten hatte sie mit seinem Partner unter all diesen Inseln des Reiches aufgefunden. Ach, wären sie doch gemeinsam auf seinem Nachen ertrunken - dann wären sie zumindest zusammen geblieben!.
Er erhob sich langsam vom schwarzen Sand des Bodens, als der Kapitän mit befehlsgewohnter Stimme fortfuhr:
"Folgt uns auf unsere Schiffe", befahl er energisch, "und sagt Euch auf ewig Lebewohl. Denn ich werde es nicht zulassen, daß sich eure Wege noch ein Mal kreuzen werden."
Bei diesem letzten Satz begann das Blut des Liebenden zu kochen, und er trat dem Schatten entgegen, der ihn triumphierend mit dem Blick maß. Lange sahen sie sich gegenseitig an, bevor er dem Kapitän mit gebleckten Zähnen nur ein Wort entgegenzischte: "Niemals!"

Die Höhle
In diesem Moment warf er ihm seine Faust voll Sand in die Augen, den er beim Aufstehen vom Strand aufgenommen hatte, und warf seiner Angebeteten einen liebevollen Blick zu. Beide begannen zu laufen, als ginge es um ihr Leben - und auf eine Weise waren sie damit auch im Recht, schließlich war ihnen ihr Leben ohne ihre Liebe nicht mehr viel wert.
Vom Strand schlugen sie sich hinein in die Wälder, die sich bis nahe dem Strande erstreckten, gefolgt von ihren tobenden Sippen. Ihre Kräfte, aufgezehrt durch die Lasten ihrer Reise, erlahmten zusehends und die gellenden Rufe hinter ihnen kamen näher und näher, während das Land immer zerklüfteter und rauher wurde. Sie kämpften sich durch Unterholz, scharfblättrig schrammend, und durch Schlamm und Schlick, voll von blutsaugendem und beißendem Gewürm. Den Atem ihrer Verfolger spürten sie heiß und feucht in ihren Rücken, so daß er sie immer wieder beflügelte.
Alsbald traten sie auf eine Lichtung hinaus, die wie ein Trichter in den vor ihnen liegenden Berg lief auf das dumpf schimmernde Loch einer Höhle hinzu, und hinter ihnen lag der Wald, düster und verschlungen. Mit letzter Kraft setzten sie ihren Weg auf die Lichtung fort, um in die Höhle zu gelangen, die ihnen als einzige Zuflucht noch zu bleiben schien. Doch schon bald nach ihnen traten auch ihre Verfolger aus der Gront der Bäume auf den toten Boden der Lichtung hinaus und befahlen ihnen Einhalt.
"Wenn ihr Euch weigert, mir zu geben, was unser ist, Freund", begann der Kapitän, "so werdet ihr hier den Tod finden, Schreiberling! Darauf seid gefaßt..." so fuhr sein Gefährte fort.
"Zu allererst"
, fiel ihm der Liebende ins Wort, "merkt Euch, daß ich mir meine Freunde noch immer sehr viel gewählter aussuche, als daß Ihr hinzuzählen würdet, Fremder!", rief der Iadner im Mute des Verzweifelten zurück und ließ sich die furchtsame Umarmung seiner Liebsten gefallen. "Außerdem scheint es mir nicht, als wolle sie zu Euch zurückkehren."
"Wir befehlen es Dir, Loptoc, komm zu uns!"
, schrien sie zur Antwort - wohl mehr an ihn, denn an sie gerichtet. Ihr Ruf schallte über die Kämme der umliegenden Berge, als sie vortrat.
"Hört! Gehet fort von mir, ich will euch nicht mehr. Ihr habt mich zum zweiten Male verlassen und erwartet, daß ich mich ein weiteres Mal täuschen lasse? Ihr seid elende Narren..."
Sie schienen einen Augenblick zu überlegen und einer von ihnen knurrte entschlossen über die Lichtung: "Ich sehe, wir werde uns holen müssen, was unser ist!"

Gednammoc
Mit diesen Worten schickte er sich an, die Lichtung zu betreten und seinen Worten Taten folgen zu lassen, doch mit einem Mal erhob sich ein gar furchtbares Keifen in der Luft, und ein Schatten strich über nackten Fels. Mit einem Ruck setzte, so daß die Erde zitterte, ein gewaltiger Drache, der eine ganz und gar silberne Schuppenhaut sein Eigen nannte, auf dem Boden der Lichtung auf. Seine leuchtend kühlen, blauen Augen blickten verwundert und ein klein wenig spöttisch über die hier Anwesenden, die angsterfüllt zu ihm aufblickten.
"Soso", sagte er mit tiefer, sonorer Stimme und beugte sich mit seinem Schädel zwischen das Paar und ihre Familien. "Das ist ja amüsant! Iadner sind es also, die den Herren von Gednammoc, dieser, meiner Insel, in seiner Ruhe stören. Lange Zeit schon war niemand Eures Volkes mehr bei mir. Ich weiß schon gar nicht mehr wie der Geschmack von Euresgleichen ist."
Schelmisch grinsend, schleckte er mit seiner Zunge über die zahllosen spitzen Zähne, die sein Maul säumten, und beugte sich tiefer. Als die ersten Iadner unter seinem Grinsen die Besinnung verloren, brach der Drache schließlich in schallendes Gelächter aus und grinste selbstzufrieden, als hätte er einen großen Erfolg zu verbuchen. "Nein, ihr habt Glück, denn ich habe mich erst kürzlich an einer Dwarkherde gütlich getan."
Der Drache stockte einen Moment, so daß die Stille über der Lichtung unerträglich wurde, denn die tiefe Stimme des Drachen schien nicht nur sie verschreckt zu haben, sondern auch die Tiere der Gegend verscheucht zu haben.
"Ich muß mich wundern, ihr Iadner, daß ihr ohne schwere Waffen in Euren schmächtigen Krallen meine Wohnstatt aufsucht. Seid ihr am Ende gar nicht gekommen, um Euch in edlem Kampfe mit mir zu messen... und schließlich in meiner Höhle auf den verblichenen Gebeinen Eurer Vorfahren zu verrotten?"
Er schien ausgesprochen amüsiert über den Gedanken zu sein und lachte gluckernd, wie eine heiße Erdquelle klingt, wenn Gasblasen den Schlamm durchstoßen.
Schließlich faßte sich einer der Seefahrer ein Herz und trat aus den Reihen seiner Mannschaft hervor.
"Uns liegt nichts an einem Kampfe mit Euch, Drache. Nur diese beiden hinter Euch sind es, nach denen uns der Geist steht. Kümmert Euch also um Eure eignen Belange, und wir werden uns um die unsrigen sorgen!
"Mutig gesprochen, Fremder, doch da ICH der Herr über dieses Eiland bin, und zwar schon länger, als Euer Volk auf dieser Welt wandelt, sind hier die Euren Händel auch die meinen..."

Sein gigantischer Schädel beugte sich weit zu dem Seefahrer nach vorne und maß ihn mit einem Auge von der Größe eines Wagenrades streng prüfend. Sein Blick funkelte erzürnt, und nachdem der Kapitän einen Augenblick lang überlegte, ob er seinen Malepiker in das geöffnete Auge rammen sollte, besann er sich eines Besseren und lenkte ein.
"Gut, nun denn, edler Cruclac dieser Insel, lasset Euch gesagt sein, daß ich gekommen bin, meine Loptoc zu holen - aus den Griffen dieses Gagod, der sie mir raubte. Die Gefolgschaft hinter mir besteht aus den verärgerten und beleidigten Familien beider. Diese sind zu verhindern gekommen, daß diese beiden einen ehrenrührigen Bund zu zweit eingehen..."
Der Drachen legte seine faltige Stirn in tiefe Furchen und Runzeln, bevor er ruckartig sein Haupte dem hinter ihm stehenden Paar zuwandte. Ein anklagender Blick musterte die beiden innnig.
"So, eine Bundbrecherin und ihren Verführer haben wir also hier..."
"Lasset mich doch erklären"
, schluchzte die Iadnerin auf und fuhr ihm ins Wort. Sie schilderte dem Drachen ihrer aller ganzen Leidensweg bis zum jetzigen Moment, so daß dieser sich schlußendlich erregt dem Seefahrer zuwandte.
"Ich kann Eure Halbwahrheiten nicht leiden Fremder, Ihr und Euer Gefährte hattet eine großzügige zweite Gelegenheit, Eure Ehrenhaftigkeit unter Beweis zu stellen. Und Ihr zogt es vor, sie zu verspielen - also gehet nun hin..."

Sein Blick durchbohrte wieder die Liebenden, und er erstarrte, als er ihrer beider kristallblauen Augen gewahr wurde. Seine Stimme bekam einen sanften, leisen Klang, wie aus einem fernen Reich magischer Mächte zu ihnen getragen.
"Lange Zeit schon wartete ich auf Euch", sagte er, im Kreise trottend wie ein Raubtier, das eine Beute umschleicht. "Uralte Schriften, deren Blätter schon lange dem Staub der Zeit anheimfielen, erzählten von diesem Tage, an dem zwei Liebende vor mir erscheinen würden, um ihr eigenes Volk einer Prüfung zu unterziehen. Man wird es in ihren Augen lesen können, so hieß es, daß sie die Erwählten sind." Er beugte sich sehr nahe an das Paar heran, so daß sie seinen heißen Atem spürten. "Ja, und das kann man wahrlich..."

Die Prüfung
Der Kapitän, ungeduldig durch die ihm nicht gewidmete Aufmerksamkeit, mischte sich erneut in das Gespräch.
"Haltet endlich ein mit diesem Geschwätz, Drache. Selbst wenn unser Anspruch wirklich verwirkt sein sollte, so können doch unsere Familien ihnen kein Leben zu zweit dulden - um ihrer Gesichter willen, die sie verlören..."
Der Drache warf sich plötzlich herum und fauchte die Seefahrer ehrfurchtgebietend an. Sein Schweif fällte einige ungünstig stehende Jungbäume am Rande der steilen Felswände.
"Was also schlagt Ihr vor, Seefahrer?"
"Wenn sie sich nicht trennen werden, dann werden wir sie trennen müssen - der Sitte wegen"
, antwortete er selbstsicher. "Notfalls wird einer der beiden sterben müssen, so ist der Wille ihrer Familien."
Der Drache hob in Verwunderung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, seinen Kopf und blickte über den Kapitän hinweg auf die vier Familien.
"Sprecht! Ist dies Euer wahrer Wille und dieser Euer Ziel, das zu erreichen ihr hier gedenkt?"
Nachdem er einhelligem Nicken vom Waldrand gewahr wurde und sein prüfender Blick den triumphierenden des Seefahrers kreuzte, erhob er sich kopfschüttelnd von der Lichtung.
"So sei es denn; es war Euer Wunsch...", begann er bedrohlich und ließ sich aufrecht wie ein kämpfender Höhlenwolf wieder auf dem Gestein nieder. "Euer Volk ist noch immer nicht reif genug, um den Inhalt seiner Prüfung zu verstehen und die Prüfung zu erkennen."
Verwirrung lag über der Lichtung, als der Herr Gednammoc sich zu dem Paar wandte, das noch immer versteinert an Ort und Stelle stand. Er sog die Luft durch seine Nüstern ein und ließ einen heftigen Sturm tief aus seinem Rachen auf die Liebenden los. Entsetzensschreie gellten über die Lichtung, als der Staub sich legte und nichts mehr von dem Paar kündete.

Die Prophezeihung des Gednammoc
"Wozu...", hoben die Seefahrer in Mischung von Zorn und Entsetzen an, doch der Drache unterbrach sie harsch.
"Schweigt! ALLE! Und merket auf!"
Seine Stimme hatte sich verändert, und das Glitzern seiner Silberschuppen verstärkte sich auf wundersame Weise.
"Ihr stelltet Euer Ehr und die Sitte über das Wohl und die Liebe Eurer Sprosse, und darum traf sie mein Atem und zerstäubte sie. Zwar riß ich sie Euch aus Euren Reihen, doch ihr wart nicht bereit, Ihnen Ihr Glück zu vergönnen; und so ist dies besser. Doch nun höret genau:
Mein Sturmatem jedoch tötete nicht ihre Geister, sondern nur ihre fleischlichen Hüllen. Sie irren so lange durch das All und sind in die Zeitlosigkeit gebannt, bis die Zeiten und Völker reif sind für ihre Liebe - hier auf dieser Welt. Allerdings müssen Eure Familien meine Worte ehrlich einlösen, indem sie sich befrieden und gemeinsam um die Rückkehr ihrer Sprosse und um Vergebung bitten - erst wenn dies geschieht, werden die beiden Liebenden wieder lebend auf Rigeliasp wandeln können - und möge dies auch fünftausend Jahre dauern.
Wenn nun in zukünftigen Zeiten ihre Geister wiedergeboren werden, so werden sie irgendwann dieser dann alten Legende gewahr werden, die sich dann um sie rankt. Erst dann werden sie jemanden finden, der verloren gegeben war, etwas entdecken, was in ihnen unterdrückt und tief verborgen gewesen war, und schließlich etwas tun, was ihre Bestimmung seit jeher war.
Dies sind die Worte von Gednammoc - möge sie jeder hören, der auf diese Lichtung tritt bis an das Ende aller Zeiten.
Dies sind die Worte von Gednammoc - und nun weicht von meiner Insel."

Er erhob sich in die Lüfte und verschwand.

Und so endete des Bänkelsängers Gesang... Höret nun noch, was sich seither in Ilais zugetragen hat: Noch heute sind die vier Familien in gegenseitigem Händel entzweit, da alle sich die Schuldigkeit zuweisen am Tode ihrer Sprosse. Die Familien sind in Ilais bekannt, doch die Namen entziehen sich meiner Erkenntnis, denn es gilt als großes Unglück ihre Namen zu nennen. Es sollen allerdings vier Familien in Dolon sein, die in beachtlichem Wohlstand und hohem Ansehen leben. Viele Heldenhafte haben sich seit den alten Tagen an der Aufgabe versucht aber übernommen, die Familien im Sinne ihrer Kinder zu einen.

Nun gehet also hin, verbreitet die meinen Worte über das Land und denket aber stets daran: Der Herr Gednammoc verzauberte seine Insel, und so wird jeder, der seinen Fuß auf dieses Eiland setzt und die Lichtung in den Hügeln zu entdecken vermag, seine Prophezeihung vernehmen, wie er sie vor Tausenden von Jahren sprach. Es heißt aus diesen alten Tagen, daß nur jemand, der seinen in die Zeit gemeißelten Worten auf der Lichtung lauschen wird, auch die Fähigkeit besitzt, die Prophezeihung einzulösen.
Leider ist gänzlich unter dem Schleier der Zeiten verschollen, wo die Insel des Gednammoc liegen mag. Einzig ist bekannt, daß sie mehrere Wochenreisen südlich vom Krasi-Reich Ilais liegen soll...

Und nun bitte ich Euch, meine Zuhörer, um ein paar Münzen, mit denen ich meine Kehle in dieser Schenke befeuchten kann... Danke... Ich danke Euch, Herr...

(nn)
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