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Walawar und Suruti

Walawar im roten Haar und Bart. Stark und stolz. Wild sein Wesen, ungestüm sein Schritt. Krieger und Jäger aus dem Westen, blutig triefend sein Beil. Nach Blute dürstend sein Blick und aufgewühlt sein Geist. So tritt er auf des Waldes Lichtung.

Erblickt Suruti, rein und hell dort im Bade sitzen, im schwarzen Weiher unterm Licht der Sterne in klarer Nacht. Haut und Haare weiß und kalt, der Leib liebkoset vom Sternenglanz. Voller Liebreiz der Blick und anmutig der Gesang.

So tritt Walawar auf die Lichtung, mit Gier im Blick. Sein Besitz soll Suruti sein, nur ihm allein gehören. Doch Zweifel kriechen in sein Herz, traf sein Blick den ihren. Nähm er sich, was er begehrt, so würd er sie zerstören. So wäre sie zwar sein, doch mit zerbroch‘nem Gemüt.

Suruti sieht den Blick des Roten und erkennt des Wilden Herz. Und Verlangen mit Abscheu vermischet sich. Gäb sie nach dem Trieb, dem tief in ihr schlummernden, es wäre ihr Verderben. Denn sie erlitte Schmerz und Pein ob der Gewalt des Roten.

So umkreist der Blutrote die Fahlweiße im Bade. Sie ihn erkennt mit sehnend Blick. Er nicht waget sich zu nähern, sie mit Gewalt zu nehmen und ihr Leid zu bringen. So kreist und kreist er, bis er‘s wagt.

Er springt ins Wasser auf sie zu, sie ihn empfängt und ahnt, Unglück wirds bringen, ist auch ihr Herz voll Sehnen. So greift er sie und zieht sie an sich. Ein verschlingend Kuss. Doch sie besinnt sich, weicht zurück, Angst in ihrem Blick. Gewoben um den weißen Leib ein Netz aus Sternenlicht.

Dies Gespinst, es sperrt ihn aus, den Roten. Walawar, er wütet, doch dringt nicht ein. Und Suruti gefangen ist in ihrem Netz, es treibt auf schwarzen Wassern, leuchtend wie die Sterne. Doch zu dicht ist das Geflecht. Suruti, sie sehnt sich, doch kann sie nicht hinaus.

So fleht sie, Roter, verlass mich nicht – sei um mich, können wir auch nicht zusammen sein. Und Walawar ist voller Sehnen, zu durchdringen das Geflecht. Und ein Falter fortan taumelnd kreiset um Surutis Netz aus Sternenlicht.

Stark und wild der Falter ist, mit leuchtend roten Flügeln. Suruti streckt die Hand heraus. Ungestüm und voller Kraft der Falter dort verweilet. Ein kurzer Kuss, das Netz es ist zu dicht, der Falter, er ist zu groß. Und es zieht ihn in die Nacht hinfort, getrieben von der Unrast.

So sucht der Falter Walawar, er kreiset und umkreiset. Die Unrast treibt ihn weiter, zehret. Die Wildheit und die Kraft des Roten, sie schwinden. Klein und schwach der Falter ist, als er sich erneut nähert. Und durchs Geflecht schlüpft er mit letzter Kraft.

Vereint sind Walawar und Suruti, doch stirbt der Falter schnell. Hinfort die rote Kraft, hinfort die Wildheit und der Stolz. Nur ein Blick des Sehnens. Ein Moment des Friedens. Ein letzter Kuss. Suruti ihn verschlingt. Nimmt auf den Rest des Lebens, der in dem Falter wohnt, auf das der Rote gestärket sei.

Und sie gebiert aufs Neue den Roten. Gestärkt und wild wie ehemals. Erfüllet vom Verlangen, voller Gier sein Herz. Auf dass Suruti wieder Angst empfindet und sie in schickt hinaus in die Nacht.

Und Walawar, erneut zieht er seine Kreise, während Suruti treibet auf den Wassern. Er kommt vorbei für einen Kuss, doch durchs Geflecht für ihn ist kein Weg. So verliert er Kraft und Leben, findet zahm zu ihr, haucht aus sein Leben, wird neu geboren.

Und so geht‘s bis in alle Zeiten.

Originalfragment des Marhalischen Epos, um 1300 v.L.
Modernere Variationen dieses Stoffes existieren in Hülle und Fülle

Anmerkungen:
Diese Legende erklärt mythologisch den Tanz, den die beiden Monde im Jahresablauf umeinander vollführen:
Die Monde begegnen einander in verschiedenen Konstellationen. Die beiden wichtigsten Treffpunkte ist der Moment, wenn die "Monde sich küssen", wenn der rote vor dem weißen steht, zur Sommersonnenwende. Ein halbes Jahr später zur Wintersonnenwende befindet sich der rote Mond weit entfernt von Esper, ist folglich recht klein und er schlüpft hinter den weißen Mond, wird also vom weißen Mond "verschlungen" und kommt in der nächsten Nacht wieder hinter dem Mond hervor. So beginnt dann ein neues Jahr mit dem neugeborenen roten Mond.
(me)
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